Ergebnisse der Sonderumfrage zur Unterbringung von Auszubildenden an den Berufsschulstandorten in Sachsen

Die sächsischen Handwerkskammern sowie Industrie- und Handelskammern haben im April 2023 eine Sonderbefragung ihrer Mitgliedsbetriebe zur Berufsschulsituation mit den Schwerpunkten Schulweg und Unterbringungssituation der Auszubildenden an den Berufsschulstandorten (BSZ-Standorten) durchgeführt.

Teilnehmer

  • An der Umfrage haben 1.169 Betriebe aus Handwerk, Industrie und Handel in Sachsen teilgenommen.
  • Die 1.169 Betriebe bilden zusammen 3.646 Lehrlinge aus.
  • Die Auszubildenden in den befragten Betrieben repräsentieren rund 150 Berufe inkl. Fachrichtungen und Spezialisierungen.
  • Die meisten Auszubildenden finden sich in Berufen wie Kfz-Mechatroniker, Anlagenmechaniker SHK, Elektroniker, Tischler, Bürokaufmann/-frau, Dachdecker wieder. Diese Berufe zählen zu den beliebtesten Ausbildungsberufen und spiegeln die Struktur der Ausbildungsberufe in Sachsen wider.

Ergebnisse zum Weg zwischen Wohnort und Berufsschulstandorten

  • Bei 33 % der Auszubildenden beträgt der Weg vom Wohnort zum Berufsschulstandorten über 50 km. Bei weiteren 16 % beträgt der Schulweg zwischen 30 bis 50 km.
  • 27 % der Auszubildenden benötigen mehr als 1,5 Stunden für den Schulweg in eine Richtung und 23 % benötigen bis zu 1,5 Stunden. Damit hat die Hälfte der Auszubildenden täglich einen enorm langen Schulweg zurückzulegen. Zur Kompensation dieser langen Wegstrecken können nur altersgerechte, angemessene und ausreichende Unterkünfte für die Azubis an den Berufsschulstandorten, so dass eine tägliche Rückfahrt zum Wohnort nicht mehr notwendig ist.
  • Lange Schulwege sind Realität vieler Auszubildender in Sachsen. Auszubildende, die teilweise noch nicht volljährig sind, sind einer hohen Belastung ausgesetzt und tragen bereits eine hohe Verantwortung. Die langen Schulwege führen insgesamt zu einer Benachteiligung dieser Auszubildenden gegenüber Auszubildenden mit kürzeren Wegen oder gegenüber Studierenden hinsichtlich ihrer Lebens- und Lernsituation.
  • Mit 67 % nutzt die Mehrheit der Auszubildenden den ÖPNV für den Schulweg. 26 % legen den Schulweg mit einem eigenen Fahrzeug zurück. 5 % der Auszubildenden organisieren sich in Fahrgemeinschaften. In der Praxis wird ein Mix der Verkehrsmittel genutzt.
  • Bei der Nutzung der Verkehrsmittel „ÖPNV“ bzw. „eigenes Fahrzeug“ bestehen große regionale Unterschiede. Im Kammerbezirk Chemnitz nutzen die Auszubildenden deutlich mehr das eigene Fahrzeug als die Auszubildenden in den Kammerbezirken Dresden und Leipzig. Besonders im Kammerbezirk Leipzig dominiert die Nutzung des ÖPNV
  • Die Ergebnisse zeigen, dass die Auszubildenden auf die Nutzung des ÖPNV angewiesen sind. Vor allem minderjährige Auszubildende sind gezwungen, den ÖPNV zu nutzen. Folglich ist die Sicherstellung der Anbindung aller Berufsschulen an den ÖPNV inkl. entsprechender Taktzeiten sicherzustellen.

Unterkunftssituation

  • 32 % der Befragten gaben an, dass eine Unterkunft am BSZ-Standort notwendig ist.
  • Die Organisation der Unterkunft haben mit jeweils 40 % überwiegend die Auszubildenden bzw. die Betriebe übernommen. 20 % der Unterkünfte wurden über die BSZ vermittelt.
  • Mit 62 % hat die Mehrheit der Auszubildenden eine Unterkunft in einem Wohnheim/Internat, 18 % in Pension/Hotel, 15 % Sonstiges, 4 % in einer WG, 2 % nutzten angemieteten Wohnraum des Betriebes.
  • 38 % der Auszubildenden müssen also auf andere, nicht geeignete Unterkünfte für junge Menschen ausweichen.
  • Die Betriebe engagieren sich nicht nur bei der Organisation einer Unterkunft. Die Hälfte der befragten Betriebe beteiligen sich an der Finanzierung der Unterbringung ihrer Auszubildenden. 36 % der Betriebe tragen sogar die gesamten Kosten.
  • Nicht allen betroffenen Auszubildenden ist die Fördermöglichkeit einer Unterbringung in Höhe von 16 Euro/Übernachtung im Rahmen der Schülerunterbringungsleistungsverordnung des Freistaates bekannt: Laut den Angaben der Betriebe nutzt mehr als ein Drittel diese Fördermöglichkeit nicht. Demzufolge muss der Bekanntheitsgrad dieses Zuschusses dringend erhöht werden.

Schulweg von der Unterkunft bis zumBerufsschulstandorten

  • 36 % der Auszubildenden verfügen über eine Unterkunft direkt am Berufsschulstandort
  • 50 % der Auszubildenden haben einen Schulweg von der Unterkunft bis zur Berufsschule von bis zu einer halben Stunde. 8 % benötigen bis zu einer Stunde.
  • 45 % gelangen zu Fuß von der Unterkunft zur Berufsschule, 37 % nutzen den ÖPNV, 12 % das eigene Fahrzeug, 4 % eine Fahrgemeinschaft und 2 % das Fahrrad.
  • 16 % der Befragten geben an, dass in der Unterkunft eine sozialpädagogische Betreuung angeboten wird.
  • Bei einem Drittel der Befragten steht keine sozialpädagogische Betreuung zur Verfügung. Ein Großteil der Auszubildenden, teilweise auch minderjährige Jugendliche, sind demnach ohne sozialpädagogische Betreuung untergebracht.
  • Eine angemessene und geeignete Unterbringungsmöglichkeit für die Auszubildenden ist für die Attraktivität der dualen Berufsausbildung unerlässlich. Wird eine Unterbringung sichergestellt, führt dies zu einer erheblichen Verkürzung des Schulweges und führt zur Verbesserung der Lebens- und Lernsituation der Auszubildenden.

    Auswirkungen auf den Abschluss von Berufsausbildungsverträgen

    • 20 % der Befragten geben an, dass aufgrund der Entfernung zum Berufsschulstandort der Abschluss von Ausbildungsverträgen bereits nicht zustande gekommen ist.
    • 8 % der Betriebe haben bereits die Erfahrung gemacht, dass eine fehlende Unterkunft ausschlaggebend für das Nichtzustandekommen eines Ausbildungsvertrages war.
    • Aufgrund des weiten Schulweges bzw. einer fehlenden Unterkunft kam es in 6 % der Fälle zu einem Wechsel des Ausbildungsberufes.
    • 4 % gaben an, dass ein bereits bestehender Ausbildungsvertrag aufgrund der großen Entfernung zum Schulstandort gelöst wurde.
    • Mit 69 % plädiert die Mehrheit der Betriebe bei der Wahl der Berufsschule zukünftig für eine Orientierung am Standort des Betriebes.

    Unterrichtsausfall an Berufsschulzentren

    • 40 % der Betriebe geben an, dass ihre Auszubildenden regelmäßig von Unterrichtsausfällen berichten: davon sprechen 20 % von wöchentlichen Unterrichtsausfällen, 46 % von gelegentlichen Unterrichtsausfällen sowie 34 % von eher seltenen Unterrichtsausfällen.
    • 69 % beziffern den Unterrichtsausfall auf 1 – 2 Stunden/Woche, 26 % auf 3 – 5 Stunden/Woche und 5 % sogar auf mehr als 5 Stunden/Woche.

    Zusammenfassung und Ableitungen

    • Lange Schulwege sind Realität vieler Auszubildender in Sachsen. Auszubildende, die teilweise noch nicht volljährig sind, sind einer hohen Belastung ausgesetzt und tragen bereits eine hohe Verantwortung.
    • Große Entfernungen zum Schulstandort haben Auswirkungen auf die Berufswahl, führen zu Absagen bei Ausbildungsplätzen und behindern damit die Ausbildung und Fachkräftegewinnung.
    • Lange Schulwege führen insgesamt zu einer Benachteiligung dieser Auszubildenden und zu einer geringeren Attraktivität der dualen Berufsausbildung gegenüber der akademischen Bildung.
    • Nicht alle Berufsschulstandorte verfügen über eine Möglichkeit der Unterbringung für die Auszubildenden. Wird eine Unterbringung sichergestellt, führt dies zu einer deutlichen Verkürzung des Schulweges und Verbesserung der Lebens- und Lernsituation der Auszubildenden. Andererseits steigen damit auch die Kosten der Ausbildungsrahmenbedingungen.
    • Leider gehört der Unterrichtsausfall mittlerweile zum Alltag vieler Schüler. Lehrermangel bedroht die Qualität der Ausbildung und gefährdet den Ausbildungserfolg. Hier besteht dringender Handlungsbedarf nach neuen Modellen der Ausbildung von Berufsschullehrern, wie z.B. der Etablierung des Studiengangs Ingenieurpädagogik, der Befähigung von Bachelorabsolventen in MINT-Fächern für das Lehramt oder auch der Schaffung von pädagogischen Hochschulen im ländlichen Raum.
    • Die Organisation und die Kosten einer Unterbringung dürfen nicht länger auf Familien und Betriebe abgewälzt werden. Der Erstattungssatz von 16 Euro/Übernachtung mittels der Sächsischen Schülerunterbringungsleistungsverordnung ist nicht hinreichend. Aktuell liegen die durchschnittlichen Kosten bei ca. 25 Euro/Übernachtung in Ballungsräumen. Aufgrund der hohen Energiekosten ist davon auszugehen, dass die Übernachtungskosten noch auf 30 EUR steigen werden.
    • Gemeinsam appellieren die sächsischen Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern eine zügige Bestandsaufnahme der aktuellen Situation vorzunehmen, und zwar noch vor der geplanten Evaluation der Berufsschulnetzplanung im Jahr 2025. Die gemachten Zusagen im Zusammenhang mit der Einführung der Berufsschulnetzplanung müssen eingehalten werden.
    • Die Schaffung ausbildungsfreundlicher Rahmenbedingungen muss vor dem Hintergrund eines zunehmenden Fachkräftemangels Priorität haben. Qualität der Lehre, Lehrermangel, Unterrichtsausfall, lange Schulwege, mangelnde Unterkünfte bzw. schlechte Unterkünfte, steigende Kosten der Ausbildung sind Themen, die dringend angegangen werden müssen und vor allem zeitnahe, praktikable und unbürokratische Lösungen erfordern.